Unterbezahlt und diskriminiert – wie deutsche Frauen sich wirklich fühlen

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Der nächste Equal Pay Day in Deutschland ist am 17. März. Dieses Datum kennzeichnet symbolisch die geschlechtsspezifische Lohnlücke und damit die 77 Tage, die Frauen auch 2020 umsonst arbeiten, während männliche Kollegen schon ab dem 1. Januar bezahlt werden. Die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ist schon seit Jahren in aller Munde. Trotz neuer Gesetze hat sich an der Lohnlücke kaum etwas geändert.

In einer Umfrage unter weiblichen Erwerbstätigen haben wir herausgefunden, wo sich Frauen in der Arbeitswelt sehen und ob sie sich im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen anders oder gar ungerecht behandelt fühlen. In Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut OnePoll haben wir eine Studie mit dem Schwerpunkt auf selbst erlebte Geschlechterdiskriminierung durchgeführt. Dazu wurden im Oktober 2017 in ganz Deutschland 1.000 berufstätige Frauen im Mindestalter von 18 Jahren befragt, die einer Bürotätigkeit im weitesten Sinne nachgehen. Gepaart mit europäischen Statistiken haben wir recherchiert, wo sich die deutschen Arbeitnehmerinnen im europäischen Vergleich bezogen  auf verschiedene Themen rund um den Job befinden und in welchen Ländern die besten beziehungsweise schlechtesten Konditionen für berufstätige Frauen herrschen. Zusätzlich haben wir zwei Expertinnen um Hintergrundinformationen gebeten.

Lohngefälle in Deutschland

Drei Viertel der an der Viking-Umfrage teilnehmenden Frauen (75 %) gaben an, dass sie am Arbeitsplatz bereits das Gefühl hatten, unterbezahlt zu sein. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle in Deutschland, auch als Gender Pay Gap bekannt, wurde vom Statistischen Bundesamt für das Jahr 2016 mit 21 Prozent berechnet. Dieser Unterschied im Verdienst blieb bis 2018 konstant – das sind soweit die aktuellsten Ergebnisse. Wir haben eine Heatmap für den Verdienstunterschied in Europa erstellt.

In unserer Umfrage gab jede fünfte Befragte an, dass das geschlechterspezifische Lohngefälle vermutlich niemals verschwinden werde. Immerhin gaben 40 % der Frauen an, dass sie davon ausgehen, dass sich die Lohnlücke innerhalb von 11 bis 50 Jahren schließen wird. Dass es jedoch ganze 217 Jahre, also bis zum Jahr 2234, dauern wird, bis der Gender Pay Gap geschlossen wird, wie vom World Economic Forum aus Genf berechnet wurde, ist dann doch überraschend.

„Woran liegt es, dass Frauen für eine vergleichbare Tätigkeit im Schnitt 21 % weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen?“, fragten wir Dr. Katharina Wrohlich, die zum Thema Gender Pay Gap am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung arbeitet. „Eine wichtige Ursache sind die familienbedingten Erwerbsunterbrechungen, die fast nur Frauen betreffen. Auch lange Zeiten von Teilzeit-Erwerbstätigkeit haben negative Auswirkungen auf die Stundenlöhne“, erklärt sie. „Erwerbsunterbrechungen und Teilzeittätigkeiten verringern zudem die Chancen von Frauen, Führungspositionen zu erlangen. Auch dies ist eine Ursache für den Gender Pay Gap.“

Der Mann als Familienernährer? 

Dass das klassische Modell des Mannes als Familienernährer immer noch nicht ausgedient hat, bestätigt leider auch unsere Umfrage. 42 % der befragten Frauen sagten, dass die größte Herausforderung im Beruf gegenüber ihren männlichen Kollegen der geringere Verdienst sei. Dicht gefolgt von 37 %, die angaben, dass die größte Hürde die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei und 24 % berichteten, dass sie das Gefühl haben, im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen nur begrenzte Möglichkeiten zur beruflichen Entwicklung zu haben.

Mehr als die Hälfte der befragten Frauen (56 %) empfinden, dass Kinder einen negativen Einfluss auf die Karriere haben. Drei Viertel der befragten Frauen, die Kinder haben (74 %), sagten, dass sie die Umstände ihrer Arbeit ändern mussten, seit sie Mutter geworden sind, und 68 % aller Mütter wechselten nach dem Wiedereinstieg in den Beruf in die Teilzeit.

Sexismus im Berufsleben beginnt oftmals bereits im Vorstellungsgespräch. Mehr als der Hälfte aller Frauen (53 %) wurden während eines solchen Gespräches bereits eine oder mehrere „unzulässige Fragen“ gestellt. Jeder dritten Frau in der Altersgruppe 24 bis 35 Jahre wurde im Bewerbungsgespräch die Frage nach der Familienplanung gestellt. Am Arbeitsplatz haben bereits 38 % der Frauen, die an unserer Umfrage teilgenommen haben, Sexismus erlebt.

Das neue Entgelttranzparenzgesetz – hat es einen Unterschied gemacht?

Seit Januar 2018 können alle Arbeitnehmer, die in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten tätig sind, das Entgelttransparenzgesetz in Anspruch nehmen. Das Gesetz ermöglicht das Recht auf Auskunft darüber, was Kollegen in einer gleichwertigen Position verdienen. Darüber hinaus ist jeder Arbeitgeber dazu verpflichtet, Männern und Frauen für vergleichbare Arbeit gleich viel zu zahlen. Eine neue Studie zeigt jedoch, dass dieses Gesetz bislang leider keine Wirkung gezeigt hat. Unternehmen haben aktiv noch nichts unternommen. Konsequenzen gibt es auch keine für Betriebe, die sich vom Gesetz nicht angesprochen fühlen. Weshalb das Entgelttransparenzgesetz noch keine Wirkung gezeigt hat, erklärt Katharina Wrohlich wie folgt:

„Es ist heute noch zu früh, das zu beurteilen, ob das Gesetz sich positiv auf die Löhne von Frauen ausgewirkt hat, weil wir noch keine aktuellen Daten haben. Die aktuellsten verfügbaren Daten zum Gender Pay Gap des statistischen Bundesamtes sind vom Jahr 2018. Das ist das Jahr, in dem das Entgelttransparenzgesetz eingeführt wurde. Wir müssen also noch 1-2 Jahre warten, bis wir Daten für die Jahre 2019-2020 haben, um beurteilen zu können, ob sich bei der Lohnlücke etwas getan hat.“

Henrike von Platen ist die Gründerin des FPI Fair Pay Innovation Lab, das Unternehmen bei der praktischen Umsetzung nachhaltiger Entgeltstrategien unterstützt, und war von 2010 bis 2016 Präsidentin der Business and Professional Women Germany e.V. Sie gibt zu bedenken:

„Das Entgelttransparenzgesetz war ein sehr guter erster Schritt – allein, dass es die Transparenz im Namen trägt, ist ein klares Signal: Über Geld spricht man. In vielen Unternehmen hat sich das auf die Unternehmenskultur ausgewirkt. Die Evaluation des Gesetzes zeigt außerdem klar: Wer analysiert, handelt auch. In der Statistik spiegelt sich davon noch wenig wider, aber vermutlich werden wir demnächst einen größeren Sprung sehen können. Was in Deutschland allerdings fehlt, um die Lohnlücke wirklich zu schließen, sind Sanktionen. Nicht die Beschäftigten, die Unternehmen sollten gefordert sein, zu handeln. Wir sehen am isländischen Beispiel sehr gut, was eine entschlossene Gesetzgebung bewirken kann. Dort müssen Unternehmen, die nicht nachweisen, dass alle Beschäftigten gleich bezahlt werden, mit spürbaren Strafen rechnen. Das funktioniert extrem gut. Ziel ist es, die isländische Lohnlücke bis 2022 auf null Prozent zu schließen. Zum Vergleich: Die deutsche Bundesregierung will die Lohnlücke bis 2030 halbieren. Das ist entschieden zu langsam.“

In unserer Umfrage gaben 77 % der Frauen an, dass sie nach einer Gehaltserhöhung fragen würden, wenn sie erfahren würden, dass ein männlicher Kollege mit ähnlichen Fähigkeiten und Erfahrungen in einer gleichwertigen Rolle mehr verdient.

Welche Maßnahmen die Situation wirklich verbessern könnten

„Welche Maßnahmen sind zur besseren Gleichstellung von Frauen und Männer nötig?“, fragten wir unsere beiden Expertinnen. „Politische Rahmenbedingungen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöhen, sind wichtig, damit familienbedingte Erwerbsunterbrechungen kürzer werden“ antwortete Katharina Wrohlich, und ergänzt: „Auch die stärkere Einbeziehung von Vätern in die Familienarbeit wäre ein Schritt in die richtige Richtung.“

„Um Lohngerechtigkeit umzusetzen, braucht es keine Gesetze. Wer will, kann die Gehälter von heute auf morgen anpassen. Und Maßnahmen ergreifen, damit die Schere nicht wieder aufklafft.“ meint Henrike von Platen. „Die Expertin zeigt sich überzeugt: „Lohngerechtigkeit ist eine Frage der Haltung – die jedem Unternehmen auch wirtschaftlich zugutekommt.“

Was denken Sie über das Thema? Haben Sie das neue Entgelttransparenzgesetz mit Leben gefüllt und Einsicht in die Akten verlangt, um zu erfahren, ob Ihr Kollege mehr verdient als Sie?  Haben auch Sie bereits Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt? Dann berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen auf unserer Facebook-Seite oder auf Twitter.

Quellen:

https://www.equalpayday.de/startseite/

https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/gender-pay-gap.html

https://www.boeckler.de/14_117892.htm#

https://www.weforum.org/agenda/2017/11/women-leaders-key-to-workplace-equality

http://www.diw.de/de/diw_01.c.10990.de/ueber_uns/menschen_am_diw_berlin/wrohlich_katharina.html